Geschichte des altsprachlichen Unterrichts
Warum sollte sich eine Fachdidaktik mit der Geschichte ihrer Disziplin und des damit verbundenen Unterrichts beschäftigen? Besteht nicht die Aufgabe der Fachdidaktik darin, sich ausschließlich mit drängenden Problemen des aktuellen oder sogar zukünftigen Unterrichts zu beschäftigen?
Diese zweifellos wichtige Aufgabe kann eine Fachdidaktik aber nur dann erfüllen, wenn sie sich auch mit ihrer Vergangenheit beschäftigt. Die historische Erforschung der Schulfächer Latein und Griechisch dient jedoch nicht allein der bloßen Rekonstruktion der Vergangenheit, sondern soll durch Sicherung und Analyse historischer Fakten ein für die aktuelle Theorie und Praxis bedeutsames wirkungsgeschichtliches Bewusstsein herstellen. Es ist überaus fruchtbar, sich mit Konzepten zu beschäftigen, die in vergangenen Epochen für das Lernen der Schulfremdsprachen Latein und Griechisch entwickelt wurden und häufig in veränderter Form auch in der Gegenwart diskutiert werden. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Fächer schafft somit ein fundiertes Verständnis für die Bedingtheit der aktuellen Situation. So wurde unser neu entwickeltes Kompetenzmodell für den Lateinunterricht nachhaltig von den Überlegungen Wilhelm von Humboldts zu einer allgemeinen Menschenbildung inspiriert. Da Latein und Griechisch zu den ältesten Schulfächern zählen, sind historische Studien in diesem Feld besonders ertragreich.
Die Beschäftigung mit der Geschichte des altsprachlichen Unterrichts ist auch im Lehrkonzept der Berliner Fachdidaktik ein unverzichtbarer Bestandteil. Jede angehende Lehrkraft für Latein- und Griechisch sollte die entscheidenden Grundzüge der Geschichte dieser Fächer kennen, um die Ziele und Methoden des Unterrichts gegenüber der Öffentlichkeit in- und außerhalb der Schule fundiert begründen, kritisch beurteilen und daraus Orientierungshilfen und Impulse für die eigene Praxis gewinnen zu können. Daher machen wir die Latein-Studierenden bereits im Bachelor mit der Geschichte der lateinischen Lehrbücher vom großen Pädagogen Comenius im 17. Jh. bis zur Gegenwart im 21. Jh. bekannt. Im Bachelorstudiengang Griechisch beschäftigen wir uns mit der Bildungsbewegung des Humanismus, der seit der frühen Neuzeit den Griechischunterricht nachhaltig beeinflusste.
Zum Weiterlesen:
Kipf, Stefan (2009). Historia magistra scholae? Historische Bildungsforschung als Aufgabe altsprachlicher Didaktik, in: PegOn 1, 1-19. (http://www.pegasus-onlinezeitschrift.de/2009_1/erga_1_2009_kipf.html)
Kipf, Stefan (2020). Altsprachlicher Unterricht in der Bundesrepublik Deutschland. Historische Entwicklung, didaktische Konzepte und methodische Grundfragen von der Nachkriegszeit bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Heidelberg: Propylaeum. (https://books.ub.uni-heidelberg.de/index.php/propylaeum/catalog/book/618)
Kipf, Stefan (2023). Geschichte des altsprachlichen Unterrichts, in: Stefan Kipf, Markus Schauer (Hrsg.): Fachlexikon zum Latein- und Griechischunterricht. Tübingen; Narr, 276 -283.